Höher, schneller,
Weiterbildung.
Die deutsche Gesellschaft altert, und dies geht auch nicht spurlos am Arbeitsmarkt vorbei. Beherrschten vor 20 Jahren noch Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung die Diskussion, steht heute der Fach- und Arbeitskräftemangel im Fokus – obwohl die Wirtschaft stagniert. Der Arbeitsmarkt verliert seine Bedeutung als Seismograph für die wirtschaftliche Entwicklung. Da jetzt die geburtenstarken Jahrgänge („Baby Boomer“) in Rente gehen, jedoch nur noch geburtenschwächere Jahrgänge auf den Arbeitsmarkt nachrücken, wird sich die Zahl der Erwerbsfähigen weiter verringern und die Situation in den kommenden Jahren verschärfen – auch für die baden-württembergische M+E-Industrie.
Mangel bremst Wachstum
Knapp 14 Prozent der angebotenen Ausbildungsplätze in der baden-württembergischen M+E-Industrie konnten 2023 nicht besetzt werden – zehn Jahre zuvor waren es nicht einmal drei Prozent der Plätze, die frei blieben. Die Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache: Es mangelt an Fachkräften und am Nachwuchs, der dazu ausgebildet werden könnte. Aktuell fehlen deutschlandweit knapp eine Viertelmillion Fachkräfte aus dem sogenannten MINT-Bereich (Mathematik, Ingenieurswissenschaften, Naturwissenschaft und Technik), die zu einem großen Teil in der M+E-Industrie beschäftigt werden.
Angesichts der derzeitigen wirtschaftlichen Flaute hat sich die Situation zwar in den letzten Monaten etwas entspannt (wie schon deutlicher während der Corona-Krise 2020/21), langfristig zeigt der Trend jedoch nach oben, und die Nachfrage nach Fachkräften wird auch wieder steigen, wenn die Konjunktur wieder mehr Fahrt aufnimmt. Trotz der leichten Entspannung klagt aktuell immer noch knapp ein Drittel der M+E-Unternehmen über Produktionsbehinderungen aufgrund fehlender Fachkräfte. Das heißt, Aufgaben und Aufträge bleiben liegen oder können nur verzögert bearbeitet, wichtige Zukunftsprojekte nur langsamer in Angriff genommen werden. Der Fachkräftemangel kostet also Umsatz, Wachstum und Zukunft und gefährdet somit auch den Wohlstand.
Ein ganzes Bündel an Maßnahmen ist erforderlich, um den Fachkräftemangel zu bekämpfen. Dazu zählen Maßnahmen wie die gezielte Zuwanderung von Fachkräften aus dem Ausland, die Inklusion von Menschen mit Behinderung oder die längere Beschäftigung von älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Bei Letzterem ist die M+E-Industrie übrigens sehr erfolgreich unterwegs. Seit dem Jahr 2000 hat sich die Zahl der über 59-Jährigen in den M+E-Betrieben nahezu verfünffacht, obwohl die „Rente mit 63“ zu einem Aderlass geführt und den Fachkräftemangel verschärft hat. Dies ist auch ein Beleg dafür, dass die verbesserten Arbeitsbedingungen es immer mehr Beschäftigten ermöglichen, länger im Erwerbsleben zu verbleiben.
Herausforderungen in der Arbeitswelt
Katrin Stegmaier-Hermle (Geschäftsführerin Balluff)
Wichtiger Schlüssel: Weiterbildung
Ein Mittel, dem Fachkräftemangel zu begegnen, ist auch die Weiterbildung und Qualifizierung der Belegschaften für neue Aufgaben. Ein Beispiel:
Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung kommt zu dem Ergebnis, dass in den nächsten Jahren allein in der baden-württembergischen Automobilindustrie durch den Transformationsprozess rund 40.000 Arbeitsplätze wegfallen werden, allerdings auch eine vergleichbare Zahl neuer Jobs in Zukunftstechnologien entstehen wird – wenn es gelingt, diese hierzulande aufzubauen. Das Problem: In diesen neuen Jobs sind andere Qualifikationen gefragt als in denen, die wegfallen.
Die gute Nachricht: Ein großer Teil der neuen Jobs kann mit Beschäftigten aus den bestehenden Belegschaften besetzt werden, wenn es gelingt, diese für die neuen Aufgaben zu qualifizieren. Dabei geht es nicht darum, den Hilfsarbeiter zum Ingenieur weiterzubilden. Meist reicht es aus, die Beschäftigten um eine oder höchstens zwei Qualifikationsstufen nach oben zu heben. Dies setzt allerdings eine hohe Veränderungs- und Einsatzbereitschaft der Beschäftigten voraus, diese Weiterbildung neben ihren sonstigen Aufgaben zu organisieren.
Weniger arbeiten = mehr Fachkräftemangel
Keine gute Idee wäre es hingegen, dem Fachkräftemangel mit kürzeren Arbeitszeiten zu begegnen. Denn dadurch ginge weiteres Arbeitszeitvolumen verloren. Die Behauptung, kürzere Arbeitszeiten führten zu zufriedeneren, gesünderen und damit produktiveren Beschäftigten, steht dabei auf wackeligen Beinen. Denn die Bänder und Maschinen können bei kürzerer Arbeitszeit nicht automatisch schneller laufen, ohne die Beschäftigten zusätzlich zu belasten. Und selbst bei der überaus optimistischen Annahme, durch weniger Arbeit den Krankenstand zu halbieren, würde dies den Verlust an Arbeitszeit bei einer Verkürzung der Wochenarbeitszeit von 35 auf bspw. 32 Stunden nicht einmal zur Hälfte kompensieren. Eine solche Verkürzung der Arbeitszeit würde übrigens gut neun Prozent mehr Personal erfordern, um das bisherige Arbeitsvolumen zu erhalten – und dies bei einem ziemlich leergefegten Arbeitsmarkt.
Mehr arbeiten = weniger Fachkräftemangel
Umgekehrt wird hingegen ein Schuh daraus. Würden beispielsweise alle M+E-Beschäftigten nur eine Stunde pro Woche mehr arbeiten, würde dies knapp drei Prozent mehr Arbeitszeitvolumen bedeuten. Das heißt, insbesondere dort, wo zusätzliche Fachkräfte derzeit kaum zu finden sind, könnte mit einer noch höheren Einsatz- und Leistungsbereitschaft der Mangel gelindert werden. Länger arbeiten bietet sich z.B. bei Teilzeitkräften an, die ihre Wochenstunden oftmals problemlos aufstocken könnten. Da der Anteil von Teilzeitkräften in der M+E-Industrie jedoch relativ niedrig ist (vor allem in den Produktionsbereichen), ist dieses Potenzial begrenzt. Doch auch für Vollzeitkräfte bieten bspw. die Tarifverträge in der M+E-Industrie vielfältige Möglichkeiten, bis zu 40 Stunden pro Woche zu arbeiten, natürlich für entsprechend mehr Geld – also eine Win-Win-Situation für Beschäftigte und Betriebe, denen die Fachkräfte fehlen.